In der Baupraxis kommt es häufig vor, dass der Auftragnehmer im Rahmen von Nachträgen Leistungen ausführen muss, die für die Erfüllung des Vertrages zwingend notwendig sind. Gleichwohl gibt es bei diesen Nachtragsleistungen häufig Streit über die Frage, ob der jeweilige Nachtrag ordnungsgemäß beauftragt worden ist. Die Auftraggeber versuchen regelmäßig sich den Vergütungsansprüchen des Auftragnehmers zu entziehen, indem eine wirksame Beauftragung mit den Nachtragsleistungen im Nachhinein angezweifelt wird.
Einem solchen Streit soll die Regelung in § 2 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B Einhalt gebieten. Hiernach erhält der Auftragnehmer für Leistungen, die er eigenmächtig und ohne Auftrag des Auftraggebers ausgeführt hat, gleichwohl eine Vergütung, wenn
die Leistungen für die Erfüllung des Vertrages notwendig waren,
die Leistungen dem mutmaßlichen Willen des Auftraggebers entsprachen und
dem Auftraggeber die Leistungen unverzüglich angezeigt wurden.
Liegen diese Voraussetzungen vor, so berechnet sich die Vergütung entsprechend § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B, d. h., wie bei einem "normal beauftragten" Nachtrag.
Dass die Regelung in § 2 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B, die im juristischen Alltag eher selten zur Anwendung gelangt, dem Auftragnehmer tatsächlich helfen kann, zeigt die aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena vom 25.03.2021 (8 U 592/20).
In dem vom OLG Jena entschiedenen Fall beauftragte die Stadt O im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung den Auftragnehmer mit der Errichtung eines Busbahnhofs. Auf dem zu betonierenden Dach des Busbahnhofs sollte ein Parkdeck für Pkw eingerichtet werden. Während der Bauphase stellte sich heraus, dass der Baugrund im Bereich der Standfläche der Stützen nicht hinreichend tragfähig war. Im Rahmen einer Baustellenbesprechung wurde mit einem Vertreter der Stadt, der vom Bürgermeister zur Abgabe von Willenserklärungen bevollmächtigt war, jedoch nicht zum Abschluss vertraglichen Vereinbarungen, vereinbart, den Boden im Bereich der Stützen tiefer auszukoffern. Hierdurch erhöhte sich die Stützhöhe für das Dach, weshalb anstelle der ursprünglich vorgesehenen Teleskopstützen nunmehr Gerüsttürme als Baubehelf eingesetzt werden mussten. Der Auftragnehmer verlangt im Rahmen eines Nachtrags hierfür Mehrkosten i.H.v. 440.000 €.
Von Seiten des Auftraggebers wird die Vergütung mit dem Argument abgelehnt, dass der Vertreter der Stadt nicht über die Vollmacht verfügt habe, um eine solche vertragliche Nachtragsvereinbarung zu treffen bzw. einen entsprechenden Nachtrag anzuordnen. Im Übrigen bedürften Erklärungen, die die Gemeinde verpflichten, nach § 31 der Thüringer Kommunalordnung der Schriftform, welche nicht vorliegt. Aus diesem Grund gäbe es keine wirksame Anordnung bzw. keinen wirksamen Auftrag.
Unter Anwendung des § 2 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B hat das OLG Jena dem Vergütungsanspruch weitestgehend stattgegeben. Nach Auffassung des Senats lägen die Voraussetzungen vor: Selbst wenn der Vertreter der Stadt keine Vollmacht gehabt habe, um einen Nachtrag anzuordnen, so sei die Leistung jedoch zwingend notwendig gewesen, um den Vertrag erfüllen zu können. Dass die Leistung auch dem mutmaßlichen Willen der Stadt entsprochen habe, zeigt sich dadurch, dass der Vertreter der Stadt mit der Ausführung einverstanden gewesen sei. Auch habe der Auftragnehmer die nicht beauftragten Leistungen unverzüglich angezeigt. Dem Auftragnehmer stünde daher die geltend gemachte Vergütung zu.
Fazit:
Es handelt sich um eine überaus begrüßenswerte Entscheidung, die jedem Auftragnehmer größere Möglichkeiten eröffnet, seine Vergütungsansprüche durchzusetzen. Immerhin kommt es häufig vor, dass vor Ort auf der Baustelle noch Einigkeit bezüglich eines Nachtrages herrscht, der Auftraggeber dann jedoch plötzlich im Nachgang den Nachtrag wegen der Nichteinhaltung von Formalien in Abrede stellt. Ein Standardeinwand ist dabei, dass der Vertreter des Auftraggebers vor Ort nicht über die Vollmacht verfügt haben soll, um einen Nachtrag anzuordnen. Mit diesem Einwand kann der Auftraggeber jedenfalls dann nicht (mehr) durchdringen, wenn die Nachtragsleistungen zur Erfüllung des Vertrages zwingend notwendig waren, vor Ort noch seinem Interesse entsprochen haben und die Mehrleistungen angekündigt wurden. Dann kann der Auftragnehmer trotz Bestreitens der Vollmacht und trotz einer unwirksamen Nachtragsbeauftragung seine Vergütungsansprüche durchsetzen.
Zum Autor:
Rechtsanwalt Jörg Bach ist Gesellschafter und Partner der Kanzlei EISENBEIS PARTNER.
Er ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie für Miet- und Wohnungseigentums-recht und vertritt deutschlandweit namhafte Bauunternehmen bei der Durchsetzung ihrer Rechte.
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