Voraussetzung für die Fälligkeit der Werklohnansprüche ist eine durch den Auftraggeber erklärte Abnahme. Mit der Abnahme beginnt auch die Gewährleistungsfrist und die Umkehr der Beweislast für das Vorhandensein von Mängeln tritt ein. Außerdem geht die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Auftraggeber über.
Die Abnahme ist also ein entscheidendes Ereignis, wenn nicht sogar das Entscheidenste, im Rahmen der Durchführung eines Bau-(werk)vertrages.
Geregelt ist die Abnahme in § 640 BGB und § 12 VOB/B. Dabei wird der Begriff der „Abnahme“ weder im BGB noch in der VOB/B definiert. Allerdings wird sie einheitlich als die Entgegennahme der Leistung durch den Besteller und Billigung als im Wesentlichen vertragsgemäß verstanden.
Das Werkvertragsrecht kennt dabei die ausdrücklich erklärte Abnahme, die stillschweigende (konkludente) Abnahme sowie die fiktive Abnahme.
Die ausdrücklich erklärte Abnahme kann durch sog. förmliche Abnahme stattfinden, indem eine gemeinsame Baubegehung beider Vertragspartner stattfindet, im Zuge derer ein Abnahmeprotokoll angefertigt und von beiden Parteien unterzeichnet wird. Aber auch außerhalb einer gemeinsamen Begehung kann durch (auch mündliche) Erklärung des Auftraggebers, dass er das Werk als vertragsgemäß entgegennimmt, das Werk ausdrücklich abgenommen werden.
Eine stillschweigende (konkludente) Abnahme liegt vor durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers bspw. durch die längere Ingebrauchnahme des Werkes oder Zahlung der Schlussrechnung.
Die fiktive Abnahme, ist in § 640 Abs. 2 BGB und § 12 Nr. 5 VOB/B geregelt. Danach gilt das Werk als abgenommen, wenn der Unternehmer dem Auftraggeber die Fertigstellung des Werkes angezeigt, eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt und der Auftraggeber hierauf nicht reagiert hat. Nach § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB hat der Besteller die Möglichkeit diese fiktive Abnahme zu verhindern, indem er gegenüber dem Unternehmer innerhalb der gesetzten Frist die Abnahmeverweigerung unter Nennung mindestens eines Mangels ausspricht.
§ 640 Abs. 2 Satz 1 BGB lautet: „Als abgenommen gilt ein Werk auch, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werkes eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat.“
Mit anderen Worten: Eine Abnahme tritt nicht ein, wenn der Besteller sie verweigert und hierzu einen Mangel des Werkes nennt.
Hierzu hat das OLG Schleswig nun mit Urteil vom 10.12.2021 – AZ: 1 U 64/20, eine Entscheidung verkündet, die eine solche fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB annimmt, obwohl der Besteller vor Fristsetzung bereits Mängel gerügt hat.
In dem vom OLG Schleswig entschiedenen Fall wurde der Auftragnehmer mit Malerarbeiten beauftragt. Nach Durchführung der Arbeiten rügte der Auftraggeber auch teilweise unstreitig bestehende Mängel. Der Auftragnehmer versprach zwar die Nachbesserung dieser Mängel, führte sie allerdings nicht durch. Einige Monate später forderte der Auftragnehmer den Auftraggeber schriftlich auf, ihm die Nacharbeiten zu ermöglichen und setzte gleichzeitig eine Frist zur Abnahme. Auf dieses Schreiben reagierte der Auftraggeber nicht. Im Prozess verlangt der Auftragnehmer die Zahlung des Werklohns. Der Auftraggeber wendet ein, es seien unstreitig Mängel vorhanden. Außerdem habe er schon während und bei der Beendigung der Arbeiten Mängel gerügt und damit angezeigt, dass das Werk nicht abnahmereif ist.
Das OLG Schleswig sieht eine fiktive Abnahme und damit die Fälligkeit der Werklohnansprüche als gegeben!
Die Voraussetzungen der fiktiven Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB liegen nach Auffassung des Gerichts vor, weil der Auftragnehmer dem Auftraggeber nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt und der Auftragnehmer nicht innerhalb dieser Frist die Abnahme unter Angabe eines Mangels verweigerte. Dass noch unstreitig Mängel vorhanden waren, stehe der Fertigstellung des Werks und damit der fiktiven Abnahme nicht entgegen. Denn das Werk könne auch fertig gestellt sein, obwohl noch Mängel vorhanden sind.
Der Besteller hat durch seine Mängelanzeige zwar klar zum Ausdruck gebracht, dass er das Werk gerade nicht als vertragsmäßig anerkennt und damit einer Abnahme widersprochen.
Das OLG Schleswig führt hierzu allerdings aus, dass der Auftraggeber vor dem Abnahmeverlangen bereits Mängel gerügt habe, hindere die fiktive Abnahme nicht. Der Auftraggeber müsse den Mangel stets binnen der Frist rügen. Eine Rüge vor Fristbeginn reiche nicht aus. Das Abnahmeverlangen des Auftragnehmer sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Das wäre nur der Fall, wenn dem Auftragnehmer erhebliche Mängel bekannt gewesen und er trotzdem die Abnahme verlangt hätte. Dies sei nicht der Fall.
Fazit:
Obwohl die geänderte Neufassung des § 640Abs. 2 BGB bereits seit dem 01.01.2018 in Kraft getreten ist, sind wesentliche Fragen zum Eintritt der fiktiven Abnahme noch höchstrichterlich ungeklärt. Dies gilt z.B. für den Begriff der "Fertigstellung“, dem als Tatbestandsvoraussetzung für die fiktive Abnahme große Bedeutung zukommt.
Die Abnahmereife des Werks ist für die Annahme einer Fertigstellung im Sinne der Norm, im Unterschied zu § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F., nicht mehr erforderlich.
Allerdings kann ein Werk nur dann fertiggestellt sein, wenn es abnahmereif ist, also frei von wesentlichen Mängeln. Ist es noch nicht als fertig (weil mangelhaft) anzusehen, kann die Abnahme nicht eintreten. Ob das gleichwohl erklärte Abnahmeverlangen rechtsmissbräuchlich ist, ist dann unerheblich.
Aufgrund dieser Erwägungen hat das Gericht hier unzutreffend angenommen, dass unstreitig bestehende Mängel der Abnahme nicht entgegenstehen. Lediglich zutreffend dürfte die Annahme sein, dass Mängel nur dann den Eintritt der Abnahme verhindern, wenn sie binnen der Frist geltend gemacht werden. Vorher ausgesprochene Mängelrügen dürften nicht reichen.
Positiv dürfte die Entscheidung für Werkunternehmer sein: Im Zweifel die Fertigstellung einfach anzeigen, Frist zur Abnahme setzen und warten, ob der Auftraggeber widerspricht!
Zur Autorin:

Rechtsanwältin Nicole Gräwer ist Partnerin und Gesellschafterin der Kanzlei EISENBEIS PARTNER. Als Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht vertritt sie deutschlandweit führende Bauunternehmen und Architekturbüros. Dazu berät sie öffentliche Auftraggeber und Bieter in allen Belangen des Vergaberechts.
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