Folgender Fall:
Der Auftragnehmer wird unter Einbeziehung der VOB/B mit der schlüssel-, funktions- und betriebsfertigen Errichtung einer Tiefgarage zu einem Pauschalpreis beauftragt. Zum "Bausoll" gehören Aufzugsanlagen. Streitig ist, ob die Aufzüge - wie vom Auftragnehmer geplant - als Alu-Glas-Konstruktion (teilverglast) ausgeführt werden können oder - wie vom Auftraggeber gefordert - vollverglast und rahmenlos sein müssen.
Die Vertragsunterlagen sind widersprüchlich:
Unter der Nummer 3.4.3.4 der "Funktionsmäßigen Projektvorgaben" ist geregelt, dass "alle Aufzüge als vollverglaste Fahrkörbe und Auszugsschächte zu konzipieren" sind.
Im Kapitel "Mechanische und elektrische Einrichtungen" werden unter Nummer 7.16 konkrete Vorgaben zu den Aufzugskabinen gemacht (vollverglaste Aufzugstüren, Wandverkleidungen aus Stahl, verspiegelte Innenseiten etc.), die teilweise im Widerspruch zu Nummer 3.4.3.4 stehen.
Der Auftraggeber besteht auf eine Vollverglasung, die der Auftragnehmer auch ausführt. Anschließend verlangt der Auftragnehmer hierfür eine Mehrvergütung. Zu Recht?
Das Urteil:
Ja! Der Auftragnehmer obsiegt sowohl in I. Instanz vor dem LG Dresden (Urteil vom 21.07.2017, Az.: 42 HK O 219/109) als auch in II. Instanz vor dem OLG Dresden (Urteil vom 19.06.2018, Az.: 6 U 1233/17).
Die von dem Auftraggeber begehrte Vollverglasung stellt einen Nachtrag im Sinne von § 1 Abs. 3 VOB/B dar, mit der Folge, dass der Auftragnehmer einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B hat.
Die Vollverglasung des Aufzuges war nämlich nicht in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag vereinbart. Demzufolge wurde die Vollverglasung auch nicht von dem vereinbarten Pauschalpreis umfasst. Die vertraglichen Angaben bzw. Regelungen zur Gestaltung der Aufzugsanlage sind vielmehr widersprüchlich.
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat sich ergeben, dass die im Kapitel "Mechanische und elektrische Einrichtungen" unter Nummer 7.16 gemachten Vorgaben in Anlehnung an ein Referenzobjekt gemacht worden, welches die Parteien vor Beginn der Bauarbeiten nochmals besuchten und die Aufzugsanlage in Augenschein nahmen. Der Auftragnehmer hat sich zudem bei der Angebotserstellung an dieser Alu-Glas-Konstruktion des Aufzuges (teilverglast) des Referenzobjekts orientiert. Von beiden Parteien wurden zwar vor Vertragsschluss Widersprüche in Bezug auf die Ausführung der Aufzüge beim Referenzobjekt erkannt. Der Auftraggeber konnte jedoch nicht nachweisen, dass und wie diese Widersprüche im Sinne einer eindeutigen Vereinbarung seinerzeit aufgelöst wurden.
Es geht zu Lasten des Auftraggebers, wenn er in sich widersprüchliche Unterlagen zu Vertragsbestandteilen macht. Wenn der Auftraggeber diese seiner Sphäre zuzuordnenden Widersprüche vor Vertragsschluss nicht auflöst, muss er das Risiko dafür tragen, dass die Parteien tatsächlich keine Einigung zu der von ihm gewünschten Gestaltung des Aufzugs getroffen haben.
Fazit:
Der Auftraggeber trägt als Verfasser der Leistungsbeschreibung das mit derartigen Unstimmigkeiten verbundene finanzielle Risiko (§ 650k Abs. 2 Satz 2 BGB und § 305 Abs. 2 BGB).
Auch die in Bauverträgen häufig zu findenden Rangklauseln helfen insoweit nicht wirklich weiter, weil sie nur im Fall eines tatsächlichen Widerspruchs greifen. Ob aber überhaupt ein Widerspruch vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei geht die konkrete der allgemeinen Beschreibung der Leistung vor. Verbleibt nach der Auslegung immer noch ein Widerspruch, schuldet der Auftragnehmer zu der vereinbarten Vergütung nur die Ausführung der preiswerten Alternative.
Widersprüche in der Leistungsbeschreibung gehen daher nicht zu Lasten des Auftragnehmers.
Zur Autorin:
Rechtsanwältin Isabel Rothe berät und unterstützt deutschlandweit in allen Bereichen des Bau- und Architektenrechts.
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