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AutorenbildRAin Nicole Gräwer

Vergabeverfahren ohne Grund aufgehoben. – Bieter hat Anspruch auf Schadenersatz !

Immer mal wieder kommt es vor, dass öffentliche Auftraggeber ein Vergabeverfahren aufheben und die Bieter, die bereits ein Angebot kalkuliert und abgeben haben, hierüber lediglich kurz und knapp informieren.


Für den Bieter stellt sich dann regelmäßig die Frage, ob er seine Aufwendungen für die Angebotserstellung, wie z.B. Personalkosten für den Kalkulator und Büromaterial ersetzt verlangen kann (sog. negatives Interesse) – oder sogar Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinnes hat, für den Fall, dass ihm bei Durchführung des Vergabeverfahrens der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre (sog. positives Interesse).


Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 08.12.2020 - XIII ZR 19/19) zeigt die Voraussetzungen auf, unter denen ein erstplatzierter Bieter vom öffentlichen Auftraggeber Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses verlangen kann, wenn dieser das Vergabeverfahren aufhebt.


In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der öffentliche AG in einem ersten Vergabeverfahren die Beschaffung eines Wohngebäudes EU-weit nach den Regeln der VOB/A ausgeschrieben. Der Bieter reichte das günstigste Angebot ein. Nachdem der AG die Verlängerung der Angebotsfrist verlangte und der Bieter dem zustimmte, hob der AG das Vergabeverfahren wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs schließlich auf. Kurze Zeit später leitete der AG ein zweites Vergabeverfahren mit dem selben Beschaffungsinhalt wie im ersten Verfahren ein, wobei der Bieter jedoch nicht das wirtschaftlich günstigste Angebot abgeben konnte.


Auf die Schadensersatzklage des Bieters verurteilte das OLG Karlsruhe als Berufungsgericht den AG zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des negativen und positiven Interesses, also auf Zahlung der Kosten der Angebotserstellung und des entgangenen Gewinns. Der BGH reduzierte den Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse (Kosten der Erstellung des Angebotes).


Der BGH bestätigte, dass ein Schadenersatzanspruch dem Grunde nach bestehe, weil der AG keinen Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A 2016 vorweisen konnte, es sich also um eine rechtswidrige Aufhebung des Vergabeverfahrens handelte, reduzierte allerdings die Höhe des Schadens auf die Kosten der Angebotserstellung.


Ein Vergabeverfahren für Bauleistungen darf der AG nur dann aufheben, wenn einer der in § 17 Abs. 1 VOB/A genannten Gründe vorliegt, nämlich kein Angebot eingeht, die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen oder andere schwerwiegende Gründe bestehen. Verletzt der öffentliche AG eine Rücksichtnahmepflicht im vorvertraglichen Schuldverhältnis, indem er ohne einen der genannten Gründe das Verfahren aufhebt, handelt er rechtswidrig und ist grundsätzlich zum Schadenersatz verpflichtet.


Nach der Entscheidung des BGH ist aber der Anspruch auf den Ersatz des Schadens gerichtet, der dem Bieter durch die mangelnde Beachtung der für das Verfahren und seine mögliche Aufhebung maßgeblichen Vorschriften entstanden ist. Dieser zu ersetzende Schaden bestehe grundsätzlich nur in den Aufwendungen, die der Bieter zur Wahrnehmung seiner Chance auf einen Zuschlag vorgenommen hat und hierzu für erforderlich halten durfte. Das sind regelmäßig die Kosten der Angebotserstellung, wobei Personalkosten für die Angebotserstellung dabei auch ohne konkreten Nachweis ersatzfähig sind.


Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns kommt nach dem BGH jedoch grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird und dieser Zuschlag einem anderen als dem Bieter erteilt wird, dessen Angebot nach den Vergabevorschriften hätte bezuschlagt werden müssen oder aber, wenn das Vergabeverfahren allein aus dem Grund aufgehoben wurde, um in einem neuen Vergabeverfahren dem „gewünschten“ Bieter den Auftrag zu erteilen, also ein sog. Benachteiligungsinteresse vorliegt.


Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass der Bieter grundsätzlich keinen Anspruch darauf habe, dass auch tatsächlich ein Auftrag erteilt wird, sondern nur auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens, also nach den hierfür einschlägigen Vergaberegeln.


Der Ersatz des positiven Interesses komme jedoch nur dann in Betracht, wenn im Vergabeverfahren der Zuschlag an den falschen Bieter erteilt wird. Dem sei es gleichzustellen, wenn der AG die Ausschreibung grundlos aufhebt und denselben Auftrag in einer Neuausschreibung an einen anderen Bieter vergibt, der den Zuschlag nicht hätte erhalten dürfen. Das sei zwar hier der Fall. Zusätzlich sei es aber, laut BGH, erforderlich, dass der AG die Ausschreibung in der Absicht aufgehoben hat, den Auftrag an einen anderen als den Bestbieter vergeben zu können. Daran fehle es aber hier.


Es scheint, als führe der BGH mit der weiteren Voraussetzung der Benachteiligungsabsicht eine neue Anspruchsvoraussetzung ein und als bedürfe es nun zusätzlich der Absicht des AG einen nicht zuschlagsberechtigten Bieter anstelle des Bestbieters beauftragen zu wollen.


Ob dem so ist oder es hier bei einer Einzelfallentscheidung des BGH bleibt, ist abzuwarten.


Zur Autorin:

Rechtsanwältin Nicole Gräwer ist Partnerin und Gesellschafterin der Kanzlei EISENBEIS PARTNER. Als Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht vertritt sie deutschlandweit führende Bauunternehmen. Dazu berät sie öffentliche Auftraggeber und Bieter in allen Belangen des Vergaberechts.

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